Markus Neuherz, der neue Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich

Markus Neuherz ist seit 1. September 2021 Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich. Was ihn prägt und was ihn in der politischen Arbeit motiviert, erzählt er Selbstvertreter Robert Saugspier.

Robert Saugspier: Du warst Chef vom Dachverband für Arbeitsinklusion. Warum braucht es Inklusion?

Markus Neuherz: Inklusion braucht es, weil wir Menschen alle verschieden sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir gut zusammenl leben und arbeiten. Inklusion kann unsere Gesellschaft in die Zukunft führen. Wenn wir aufeinander achten, wenn wir jeden Menschen akzeptieren und wertschätzen und schauen, dass jeder und jede dabei sein kann, dann wird es uns allen miteinander besser gehen.

Was sind deine Erfahrungen mit der Politik, wenn es um Forderungen wie Gehalt statt Taschengeld geht?

Die Forderung nach Gehalt begleitet uns schon sehr lange. Meines Wissens schon seit 30 Jahren. Politik ist da sehr langsam. Viele Menschen in der Politik können sich nicht vorstellen, was damit gemeint ist und warum das notwendig ist.Aber in den letzten Jahren ist etwas in Bewegung geraten. 2017 wollte die Bundesregierung nur eine Erhöhung des Taschengeldes. Die jetzige Regierung hat in ihrem Programm Lohn statt Taschengeld festgeschrieben. Das stimmt mich positiv. Das ist für uns ein guter Ansatzpunkt, um ein Stück weiterzukommen.

Es wird dir nachgesagt, dass du ein guter Netzwerker bist.

Ich mag gemeinsames Tun. Das betrifft nicht nur die Arbeit, das betrifft auch, wie ich meine Freizeit verbringe. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute, die das machen, was wir als Lebenshilfen machen, sehr gute Absichten haben. Wenn wir diese Leute zusammenbringen, können wir gemeinsam mehr erreichen.

Glaubst du, dass du alles, was du vorhast, in der Lebenshilfe umsetzen kannst?

Ich glaube, bei vielen Themen geht es darum, Dinge anzustoßen. Wir haben Anliegen, die uns noch mehrere Jahre beschäftigen werden. Aber wir können sie angehen, anstatt zu sagen: Nein, ich kann es nicht umsetzen, deshalb lasse ich es gleich. Und ich bin zuversichtlich, dass wir viele Partnerinnen und Partner finden, die uns helfen, die Dinge umzusetzen.

Was für ein Bild hast du dir von unserem Selbstvertreterbeirat gemacht?

Bei meinem Besuch war ich beeindruckt von der Professionalität. Es wurden interessante und wichtige Themen behandelt. Dann wurden die Meinungen zusammengetragen und gemeinsam festgehalten: Was brauchen wir und welche Forderungen haben wir? Das ist eine sehr professionelle Interessenvertretung. Da freu ich mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Was waren deine ersten prägenden Erfahrungen mit Behinderung?

Ich komme aus einem kleinen steirischen Dorf. Der Nachbarsbursche, der ein Jahr älter war als ich, hatte Lernschwierigkeiten. Wir haben gemeinsam gespielt, jeden Nachmittag. Das hat sich geändert, als er in die Sonderschule gekommen ist und dafür in die Bezirkshauptstadt fahren musste. Ich habe mich gefragt, warum muss mein bester Freund in eine andere Schule gehen, nur weil er eine Lernbehinderung hat? Wir spielen doch zusammen, das macht Spaß. Warum kann er nicht mit uns Schule gehen? Er verlor den Kontakt zu allen Kindern im Dorf, nur weil er in die Sonderschule gehen musste.

Auch ich flog nach langen Klinikaufenthalten von der Volksschule und musste in die Sonderschule. Das war nicht schön für mich.

Ja, das verstehe ich. Mein Eindruck war, wenn mein Kindheitsfreund in eine inklusive Schule gegangen wäre, hätte er vieles ganz normal mitlernen können. Wir haben uns vor einigen Jahren wieder mal getroffen. Er steht mitten im Leben, hat Kinder. Er hat nach der Sonderschule eine Tischler- Anlehre gemacht und später dann in der freien Wirtschaft einen Job gefunden. Da geht es oft nur um Förderung, die notwendig gewesen wäre – und die vielen Menschen geholfen hätte.

Was braucht es, um die Interessen von Menschen mit Lernschwierigkeiten durchzusetzen?

Es braucht Meinungsbildung. Das heißt, man kommt zusammen und überlegt sich, was ist uns wichtig und warum? Daraus ergeben sich dann ein paar wenige, ganz konkrete Forderungen. Und dann muss man gemeinsam auftreten – in der Lebenshilfe, aber auch außerhalb der Lebenshilfe. In Tirol gibt es zum Beispiel den Jugendbeirat – so etwas braucht es. Wichtig sind auch Verbündete aus anderen Bereichen, zum Beispiel Angehörige. Wir müssen also mit Leuten zusammenarbeiten, um unsere Interessen durchzusetzen. Wir sind nicht allein auf dieser Welt, und auch Menschen mit Lernschwierigkeiten sind nicht allein mit dem, was sie fordern und was sie wollen. Und das können wir nutzen, dass wir Verbündete haben. 

Was denkst du, wenn du beim Arzt alles in Fachsprache erklärt bekommt?

Jeder Mensch hat das Recht, gut aufgeklärt zu werden und alles so erklärt zu bekommen, dass er es auch versteht. Es sollten auch nicht wichtige Dinge weggelassen werden. Dieses Anliegen betrifft Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber das betrifft zum Beispiel auch Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Die brauchen auch gute Erklärungen in einfacher Sprache. Auch für mich würde ich mir wünschen, dass es einfacher ist. Da ist noch viel Arbeit notwendig, um das zu vereinfachen.

Kannst du dir vorstellen, Forderungen gemeinsammit Menschen mit Lernschwierigkeiten zu erarbeiten, um sie durchzusetzen?

Ja, absolut. Das ist ja unser Kernauftrag. Das steht in meinem Jobprofil. Nur in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen können wir erfahren, was diese wirklich brauchen und wollen.

IM GESPRÄCH

Markus Neuherz ist seit September 2021 Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich. Zuvor begleitete er Lehrlinge und Jugendliche mit Benachteiligungen bei ihrem Einstieg ins Berufsleben. Zuletzt war er Geschäftsführer des Dachverbandes berufliche Integration Austria.

Robert Saugspier hat 25 Jahre lang in der Redaktion des Querdenkers der Lebenshilfe Wien mitgearbeitet. Jetzt ist er in der Gruppe MiT, dem Mitspracheteam der Lebenshilfe in Wien aktiv. Als langjähriger Selbstvertreter unterstützt er Werkstatträte und engagiert sich im Selbstvertreterbeirat der Lebenshilfe Österreich.

 

Interview aus der Zeitschrift der Lebenshilfe Tirol, Lebens.Welt, 21-4

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