Für Teilhabe am Leben braucht es persönliche Assistenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten

KundInnen der Lebenshilfe Wien haben in mehreren Austauschtreffen Forderungen an die Politik formuliert. Vor allem das Recht auf Assistenz im Leben, in der Freizeit und in der Arbeit würde ihnen mehr gesellschaftliche und berufliche Beteiligung bringen.

Selina Simsek, 24 Jahre jung, möchte gerne Freizeit erleben wie andere junge Menschen auch. Selten schafft sie es vor die Türe ihrer Wohngemeinschaft, es fehlt einfach an genügend Personal und persönlicher Assistenz. Die gibt es für Menschen mit Lernschwierigkeiten und intellektueller Beeinträchtigung bisher noch nicht.

Stellvertretend für viele KundInnen der Lebenshilfe Wien und Menschen mit Lernschwierigkeiten schildert Selina ihre Lebensgeschichte und täglichen Herausforderungen. Sie lebt seit vielen Jahren in vollbetreuten Wohngemeinschaften in Wien und ist im Alltag bei der Grundversorgung und in der Freizeit abhängig vom Personalschlüssel vor Ort. Da sie mobil eingeschränkt ist und einen Rollstuhl benötigt, braucht sie Begleitung. Einen gesetzlichen Anspruch auf persönliche Assistenz hat sie leider nicht. Diese würde für sie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Selbstbestimmung ermöglichen.

An Wochenenden ist der Weg zum Billa oft die einzige Abwechslung, manchmal wird sie von einem Arbeitskollegen abgeholt und sie fahren zu ihm. Sie ist in der Freizeit meist auf andere Personen angewiesen. Selina kann sich gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal etwas erlebt hat, was jungen Menschen Spaß macht, wie ein Kino- oder Kaffeehausbesuch.

Selina arbeitet im Mitsprache-Team der Lebenshilfe Wien. In dieser Gruppe werden Seminare organisiert und an Themen gearbeitet, die das Leben von Menschen mit Lernschwierigkeiten verbessern können.

Selina Simsek fordert Persönliche Assistenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten

Selina Simsek fordert Persönliche Assistenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten

 

„Nichts über uns ohne uns!“

KundInnen der Lebenshilfe Wien erarbeiteten ein Forderungspapier an die Politik. Diese Forderungen zielen darauf ab, die Lebensqualität und Selbstbestimmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu verbessern und eine gerechtere, inklusivere Gesellschaft zu schaffen.

In verschiedenen Austauschtreffen unter Federführung des Mitsprache-Teams der Lebenshilfe Wien haben Menschen mit Lernschwierigkeiten ihre Forderungen zusammengetragen. Dass Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen sowohl in rechtlichen als auch gesellschaftlichen Belangen nach wie vor nicht selbstverständlich ist, machen diese Punkte wieder deutlich.

Es beginnt im Kindergarten, in der Schule, geht weiter im Arbeitsleben bis zur Freizeit und betrifft auch die Einkommenssituation. Menschen mit Behinderungen werden ausgeschlossen und haben oft keine Wahlfreiheit, wo und wie sie leben und arbeiten möchten.

Ins Gespräch kommen

Damit sich hier etwas ändert, haben die KundInnen beschlossen, ihre Anliegen selbst wichtigen Entscheidungsträgern in ihrem Umfeld und in der Politik vorzutragen.

Der erste Weg mit dem Forderungspapier führte ins interne Führungsteam. Die Geschäftsführung und die Führungskräfte sollen informiert sein, was die KundInnen beschäftigt und was sie sich für ihr Leben wünschen. Der zweite Stopp war beim Dachverband der Lebenshilfe Österreich. In einem gemeinsamen Gespräch mit Philippe Narval, dem neuen Generalsekretär, wurden die Forderungen durchbesprochen, sich über aktuelle politische Vorhaben dazu ausgetauscht und überlegt, wo Menschen mit Lernschwierigkeiten zu wichtigen Themenbereichen vorsprechen können, damit das, was in der UN-Konvention steht, auch endlich zu gelebtem Recht wird.

KundInnen der Lebenshilfe Wien präsentieren ihre Forderungen im Dachverband der Lebenshilfe Österreich (v.l.n.r Philipp Narval, Generalsekretär Lebenshilfe Österreich; Selina Simsek, Mitspracheteam Lebenshilfe Wien; Eva-Maria Micheli; Unterstützerin Lebenshilfe Wien; Carmen Güttl, Kommunikation Lebenshilfe Österreich)

KundInnen der Lebenshilfe Wien präsentieren ihre Forderungen im Dachverband der Lebenshilfe Österreich (v.l.n.r. Philippe Narval, Generalsekretär Lebenshilfe Österreich; Selina Simsek, Mitspracheteam Lebenshilfe Wien; Eva-Maria Micheli; Unterstützerin Lebenshilfe Wien; Carmen Güttl, Kommunikation Lebenshilfe Österreich)

 

Hier die Forderungen an die Politik auf einen Blick:

Förderungen und Unterstützungsleistungen

  • Erhöhung der Beihilfen für Menschen mit Behinderungen
  • AMS-Leistungen für Menschen mit Behinderungen
  • Lohn statt Taschengeld für Menschen mit Behinderungen

Bildung und Inklusion

  • Recht auf das 11. und 12. Schuljahr für Menschen mit Behinderungen
  • Inklusive Kindergärten und Schulen für Kinder mit und ohne Behinderungen
  • Barrierefreiheit durch mehr Informationen in einfacher Sprache

Freizeit und Assistenz

  • Freizeitassistenz für Menschen mit Behinderungen
  • Begleitung in die Arbeit und wieder zurück nach Hause

Persönliche Assistenz

  • Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen einen Rechtsanspruch auf persönliche Assistenz haben, auch wenn sie eine Erwachsenenvertretung haben
  • Persönliche Assistenz ermöglicht mehr Selbstbestimmung und bietet Unterstützung, wo sie benötigt wird, zum Beispiel beim Einkaufen oder bei der Bank
  • Menschen mit jeder Pflegestufe sollen persönliche Assistenz erhalten
  • Möglichkeit, 24 Stunden am Tag Assistenz zu bekommen, auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten
  • Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wer die Assistenz leistet (Mann, Frau, Divers)
  • Persönliche Assistenz sollte auch in der Freizeit verfügbar sein
  • Es sollte eine zentrale Stelle (Land oder Bund) geben, die für persönliche Assistenz zuständig ist
  • Die Gesetze für persönliche Assistenz sollten in ganz Österreich einheitlich sein

Arbeitsassistenz

  • Arbeitsassistenz so lange wie benötigt

Hier können die Forderungen in einfacher Sprache heruntergeladen werden.

Selina und viele andere hoffen, dass diese Forderungen bald Gehör finden und umgesetzt werden, um ein selbstbestimmtes und inklusives Leben für alle zu ermöglichen.

 

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